ESSEN/ Aalto-Theater: DIE ENTFÜHRUNG AUS DEM SERAIL – Premiere

 

ESSEN: DIE ENTFÜHRUNG AUS DEM SERAIL Premiere am 10.6.2012

 


Jetske Mijnssen. Foto: Facebook

 

Diese Inszenierung (von JETSKE MIJNSSEN) war dringend notwendig. Noch immer hängt Mozarts „Entführung“ der Stallgeruch einer Türkenoper mit allen möglichen orientalischen Klischees an. Dabei sprechen nicht wenige Arien (vor allem die der Konstanze) die Sprache der Tragödie, der Trauer, der Innerlichkeit. Und kann ein Duett jenseitiger klingen als Konstanzes und Belmontes „Welch ein Geschick“? Radikal und konsequent vermeidet die Ausstattung von SANNE DANZ jedwede pittoreske Verweise auf Türkisches. Die weiße Architektur vermittelt eine kühle, neutrale Atmosphäre, die segmentierte Rückwand lässt sich nach hinten auseinander ziehen, was im Verein mit der Beleuchtung die Bühne mit Trauerrändern zu versehen scheint. Die Introduktion deutet ein realistisches Geschehen noch an.

 

Eine von ARIEN DE VRIES modern eingekleidete Gesellschaft erwartet Bassa (er könnte auch Hinz oder Kunz heißen), um seinen 40. Geburtstag zu feiern. An seiner Seite eine Frau. Diese Liaison verläuft mit noch vorsichtigen Schritten, denn in ihrer 1. Arie bekennt Konstanze „Ach, ich liebte, war so glücklich“. Dieser Geliebte, Belmonte, nimmt an der Fête zögerlich teil, um die schwankenden Gefühle seiner Freundin sehr wohl wissend.

 

Jetske Mijnssen inszeniert ohne Abschweifungen eine Dreiecksgeschichte, gleichzeitig einen Selbstfindungsprozess. Auch Bassa agiert in emotionaler Hinsicht keineswegs überlegen, hat erst bei Konstanze eine lang gesuchte innere Ruhe gefunden, wie ein hinzugefügter Monolog verrät. Diese wiederum zerreibt sich förmlich zwischen den beiden Männern, vermag sich letztendlich für keinen zu entscheiden, was in einer gedehnten Schlussszene (musikalisch gemixt aus „Janitscharen“-Chor und Teilen der Ouvertüre) noch einmal breit ausgespielt wird . Diese Zweifel sind ihre „Martern“, nicht eine wie im Originallibretto angedrohte Folter. Auch an anderen Stellen gelingt es der Regisseurin, die vorgegeben Gesangstexte zumindest neu hören zu lassen. Das oft etwas peinlich retardierende Ständchen „Im Mohrenland“ gewinnt auf einmal sinnbildliche Qualität. Manchmal bleiben die Stephanie-Verse freilich eine unaufhebbare Hypothek. Pedrillos „Kampf“-Arie bezieht sich in Essen lediglich darauf, dass er seine Blonde und ihre (Un)Treue verstärkt im Auge behalten will – das ergibt keine Kohärenz. Im finalen Duett Konstanze/Belmonte ist zu viel von Todesbedrohung die Rede, als dass sich das auf eine bloße Aussprache unter vier Augen beschränken ließe. So kommt Jetske Mijnssen mit ihrem klugen, ambitionierten Konzept nicht in jedem Moment durch. Auch werden die Buffo-Figuren nicht gleichermaßen dringlich durchleuchtet wie die Seria-Protagonisten. Gleichwohl: diese Inszenierung gibt, Mozarts „Cosi fan tutte“ gewissermaßen vorausahnend, dem Zuschauer viel zum Nachdenken mit. Ein Teil des Premierenpublikums nahm das willig an, ein anderer Teil wehrte sich vehement.

 

Aus dem Sängerensemble profiliert sich nicht zuletzt ALBRECHT KLUDSZUWEIT als Pedrillo, der seine heikle Arie standfest, höhensicher und tonschön absolviert, wie man es von Spieltenören nur selten erleben kann. CHRISTINA CLARKS Blonde ist der Charme in Person, ROMAN ASTAKHOV ein grundsolider Osmin mit enormer Tiefenresonanz. Vom Kölner Schauspiel hat man MAIK SOLBACH als Bassa engagiert. Er gibt einen Träumertypen, sympathisch, reflektiv, aber wohl doch kein ganz zureichender personaler Gegenentwurf zu Belmonte, den BERNHARD BERCHTOLD mit belcantesk schlankem Tenor und natürlichem Spiel gibt. SIMONA SATUROVA,  wie Lucia Popp und Edita Gruberova aus Bratislava stammend, ist nichts weniger als ein kleines Mozart-Wunder. Sie singt die Konstanze mit einer so erdbebensicheren Koloratur, einer derartigen Piano-Empfindsamkeit und Stilperfektion, dass es einem den Atem verschlägt. Alleine wegen dieser Sängerin lohnt der Besuch im Aalto Musiktheater.

 

Christoph Zimmermann

 

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