Die Welt Autor: Helmut Peters

 

09.11.2011

 

Schwelgen in üppiger Sängerbesetzung

 

Chorkonzert der Kantorei St. KatharinenOrtswechsel sind ja ein oft empfohlenes Mittel, um Kopf, Seele und manch verstopften Atemweg frei zu bekommen. Für die Kantorei St. Katharinen war der nicht ganz freiwillige Ortswechsel zwar etwas anders motiviert, wohl aber schuf er Freiraum für programmatische Neuentdeckungen selten zu hörender romantischer Chorliteratur. Weil die Hauptkirche St. Katharinen wegen Sanierungsarbeiten zur Zeit nicht für Chorkonzerte solch eines Umfangs genutzt werden kann, trat die Kantorei am Montag in der Laeiszhalle auf und hatte sich wegen des breiten Anforderungsspektrums gleich noch die Hamburger Kinder- und Jugendkantorei, den One Voice-Chor und drei Gesangssolisten nebst den üppig besetzten Hamburger Symphonikern eingeladen.

 

Für Andreas Fischer, den Kantor und Organisten an St. Katharinen, war dieser gigantische Klangapparat hör- und sichtbar ein Hochgenuss. Anders als viele seiner Chorleiterkollegen konzentrierte er sich kaum nur auf die Bedürfnisse seiner hoch ambitionierten Sänger, sondern schlüpfte in die Rolle eines Maestros, der mit dem Orchester wie mit den Registern seiner Orgel spielte.

 

Gelegenheit zur Feinjustierung hatte er in den beiden Chorballaden des ersten Teils, die musikalisch zwar großartig, inhaltlich aber nicht ganz unproblematisch sind, mehr als genug. In den postnapoleonischen Restaurationsjahren hatte Eduard Mörike seine berühmte Ballade "Der Feuerreiter" gedichtet. Als Hugo Wolf Ende des 19. Jahrhunderts den Text vertonte, in dem Mörike auf die radikalen Widerständler mit feuerroten Mützen Bezug nahm, interessierte ihn das Düstere und das dem Untergang Geweihte der Revoluzzer-Romantik. Wolfs wilde Dramatik, vor allem im Orchesterpart, erinnert durchaus an Wagners Fliegenden Holländer. Wenn der Chor dann aber von den Trümmern der in Brand gesetzten Mühle singt, zerfällt der dichte Orchestersatz allmählich wie das Erlöschen der Glut in Asche. Besingt Mörike den Aufstand und das Verderben, so ist das Thema von Ludwig Uhlands "Taillefer", die Heroisierung eines Sängers im Kampfe. Richard Strauss hatte die Ballade vom Sänger Taillefer, der den Normannen beim Sieg über die englischen Ritter durch seine Lieder Kraft einflößt, mit Verve und Getöse vertont. Dass er 1903 damit durchaus auch an den wild aufrüstenden Kaiser Wilhelm II. dachte und den Stoff nationalistisch umdeutete, macht das Stück aus heutiger Perspektive etwas peinlich. Der Tenor Albrecht Kludszuweit und der nicht hundertprozentig disponierte Bassist Stefan Adam setzten sich mit der sicher und begeistert singenden Kantorei gegen die bebende Orchesterpower durch.

 

Dynamisch oft etwas zu hoch ausgesteuert nahm Andreas Fischer auch den Orchesterpart in Carl Orffs "Carmina burana" im zweiten Teil. Kludszuweit verwandelte seinen Gesang vom gebratenen Schwan witzig in szenisches Spiel und der Kinderchor zeigte sich klangschön und mutig im "Amor volat undique" am Ende. Leichte Stimmprobleme wie Adam hatte auch die für Katharina Müller eingesprungene Sopranistin Tina Scherer im "Stetit puella". hpe

 

hpe

 

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